Neben Schlaf und Entspannung brauchen Gesunde wie chronisch Erkrankte Bewegung, um sich wohlzufühlen. Sportliche Betätigung, die dem individuellen Leistungsvermögen angepasst ist, wirkt sich positiv auf Geist und Körper aus. Klinische Studien haben gezeigt, dass bei Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind, regelmäßiges Training MS-typische Symptome deutlich verringern kann: Mobilitäts-, Ausdauer- und Koordinationsstörungen verringern sich, auch Fatigue und Depressionen können gelindert werden. Ausdauersportarten wie Schwimmen haben sich in diesem Zusammenhang als besonders geeignet erwiesen, weil sie die Kondition steigern und somit auch mehr Kraft und Sicherheit für die Bewältigung des Alltags ermöglichen. Ein wichtiger Aspekt ist zudem die soziale Komponente von Sport. Bewegung gemeinsam mit anderen macht Spaß und motiviert.
Wer sich im Wasser schwimmend fortbewegt, aktiviert den ganzen Körper. Das Wasser ist der Trainingspartner und ermöglicht eine sanfte körperliche Betätigung, die das Herz-Kreislauf-System anregt, ohne zu überfordern. Schwimmen kräftigt die Muskulatur und entlastet besonders beanspruchte und schmerzende Körperregionen.
Der Auftrieb reduziert das Körpergewicht auf ein Zehntel, sodass Wirbelsäule und Gelenke deutlich leichter bewegt werden können. Die unterschiedlichen Temperaturreize fördern Durchblutung und Stoffwechsel und stärken die Immunabwehr. Dazu kommt eine psychologische Komponente: Die scheinbare Schwerelosigkeit im Wasser erzeugt ein Gefühl von Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Schwimmen hebt die Laune, entspannt, baut Stress ab und schafft Freude – fast wie ein kleiner Urlaub. Schwimmen ist eine ideale Sportart für Menschen mit MS, denn die Bewegungen fallen im Wasser leichter als an Land und das kühle Wasser verhindert das bei sportlicher Überhitzung häufig auftretende Uhthoff-Phänomen.
Eine Schwimmhalle, Badekleidung, eventuell eine Schwimmbrille – mehr braucht es nicht für ein effektives Ganzkörpertraining. Der Übergang von der entspannenden Bewegung im Wasser hin zum sportlichen Training mit Tempo, Kraft sowie spezieller Atemtechnik ist dabei oft fließend. Generell gilt, dass MS-Erkrankte ihre Leistungsgrenze ausloten und gegebenenfalls auch einmal überschreiten dürfen, um ein Gefühl für diese individuelle Grenze zu bekommen. Fordern Sie sich und ruhen Sie sich danach eher etwas länger aus, als Anstrengung ganz zu vermeiden.
Kraulschwimmen und Rückenschwimmen sind in der Regel gelenkschonender als Brustschwimmen, aber die Mehrzahl der Schwimmer ist mit dem Bruststil am vertrautesten. Häufig halten sie jedoch den Kopf beim Schwimmen hoch, was gelegentlich zu Verspannungen im Nacken führen kann. Dennoch überwiegen selbst bei nicht optimaler Schwimmtechnik langfristig die positiven Effekte für den Körper. MS-Erkrankte sollten den Stil wählen, den sie gut beherrschen und mit dem sie sich wohl fühlen. Eventuell können sie zwischendurch Lockerungsübungen für den Nacken am Beckenrand machen oder – wenn möglich – zur Abwechslung eine Bahn im Rückenstil schwimmen. Wer generell das Brustschwimmen bevorzugt, sollte versuchen, folgende Punkte zu beherzigen.
Bei MS-Erkrankten sind die Beine besonders häufig von Schwäche betroffen. Diese können im Wasser gezielt trainiert werden. Das Schwimmen schafft einen sinnvollen Ausgleich, denn es kräftigt Schultergürtel, Arm- und Rumpfmuskulatur. Dies ist besonders wichtig, wenn die Beine nicht mehr aktiviert werden können. Denn dann braucht man vermehrt die Arme und die Schultergürtelmuskulatur für den Alltag. Der Wasserwiderstand wirkt dabei wie ein Trainingsgerät. Bewegungseinschränkungen kann der Schwimmer auch mit Hilfsmitteln kompensieren. So ist folgende Kombination möglich: Schwimmstil mit den Armen und Stützen der Beine durch eine Schwimmnudel oder Schwimmflügel. Häufig können Betroffene den Paddelstil noch sehr gut ausführen, auch wenn die Beine an Land stark in ihrer Funktion eingeschränkt sind.
Wer regelmäßig schwimmt, kann seine Ausdauer und Koordination fördern. Der Schwimmsport kann bis ins hohe Alter betrieben werden und eignet sich auch für Menschen mit Übergewicht. Bei starker Bewegungseinschränkung empfiehlt sich häufig eher eine Wassertherapie, bei der der Therapeut individuell auf die Symptome des MS-Erkrankten eingehen kann. In Anlehnung an die Empfehlung für Gesunde sollten MS-Erkrankte mindestens zwei- bis dreimal wöchentlich etwa eine halbe Stunde trainieren.
Etwa zwei Drittel aller MS-Erkrankten sind vom Uhthoff-Phänomen betroffen, das heißt sie erfahren eine vorübergehende Verschlechterung ihrer Symptome unter Wärmeeinfluss. Bei erhöhter Umgebungs- oder Körpertemperatur verringert sich die Leitfähigkeit in den von Multiple Sklerose betroffenen Abschnitten des Zentralnervensystems und verursacht eine Verstärkung neurologischer Symptome. Plötzlich fühlen sich die Betroffenen schlapp und geschwächt, Lähmungen, Spastik und Sehverschlechterung können zunehmen. Das muss kein Grund zur Beunruhigung sein, denn die Symptome sind vorübergehend und bilden sich nach einem Absenken der Temperatur wieder zurück. Das Uhthoff-Phänomen darf nicht mit einem Schub verwechselt werden. Das stärkere Auftreten von Symptomen schädigt das Nervensystem nicht. MS-Erkrankte, bei denen das Uhthoff-Phänomen schon einmal aufgetreten ist, sollten sich nach der Wassertemperatur des Schwimmbades erkundigen, bevor sie mit dem Wassersport beginnen. In der Regel liegt die Temperatur in öffentlichen Freizeitbädern niedriger als beispielsweise in Thermal- oder Wellnessbädern. Generell wird eine Wassertemperatur um die 24 °C empfohlen (Studie von Mertin und Vaney 1999). Jeder MS-Erkrankte sollte ausloten, welche Wassertemperatur für ihn persönlich angenehm ist und welche Wassersportarten beziehungsweise Therapien in dem entsprechenden Temperaturbereich möglich sind. Das gilt besonders für jene Angebote in Bädern mit körperwarmem Wasser.
Bei kühlem Wasser erhöht sich der Muskeltonus (der Spannungszustand der Muskulatur), die Beine können steif werden, zucken und die Spastik kann sich verstärken. Auch hier sollten die Betroffenen nicht erschrecken, denn es handelt sich um einen vorübergehenden Akklimatisierungsprozess im Wasser.
Kaltes Wasser kann die Nervenleitgeschwindigkeit erhöhen und zur vorübergehenden Linderung der Symptome beitragen. So berichten Patienten nach kalten Duschen oder auch Eisbädern (werden teilweise in Kliniken durchgeführt) von deutlichen Verbesserungen der Gehfähigkeit oder des Sehens.