Schwangerschaft, Kinderwunsch und Therapie der Multiplen Sklerose
Eine aktuelle Auswertung aus dem MS-Register der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e.V. untersucht die Frage, welchen Einfluss Kinderwunsch und Schwangerschaft auf die Wahl der immunmodulatorischen Therapie bei MS-Erkrankten haben.
Anhand aktueller Daten aus dem MS-Register wurde untersucht, bei welchen an Multipler Sklerose (MS) erkrankten Frauen Schwangerschaft und Kinderwunsch als Abbruchgrund angegeben und welche Therapie im Anschluss eingeleitet wurde. Da sich bei der Hälfte der Frauen mit MS die Erkankung zwischen dem 20zigsten und 40zigsten Lebensjahr manifestiert, wird die Wahl der Immuntherapie maßgeblich durch eine Schwangerschaft bzw. den Kinderwunsch geprägt.
Der Verlauf der MS-Erkrankung wird durch eine Schwangerschaft insgesamt nicht negativ beeinflusst. Schon in der Europäischen Schwangerschaftsstudie [1] wurde erstmals gezeigt, dass die Schubaktivität in der Schwangerschaft deutlich sinkt, die Schubrate nach der Schwangerschaft (Wochenbett) aber wieder ansteigt. Die zugrundeliegenden immunologischen Prozesse durch die hormonelle Umstellung in der Schwangerschaft sind jedoch noch kaum erforscht [2]. Die Wahl der immunmodulatorischen Therapie hängt entscheidend von den Gefahren für das sich in utero entwickelnde Kind ab, aber post partum auch von möglichen Gefahren für das gestillte Kind sowie die Auswirkung der Therapie auf die Krankheitsaktivität der Frau während und besonders nach der Schwangerschaft. Da für viele der verfügbaren MS-Medikamente bisher noch nicht ausreichend Erkenntnisse zu Schwangerschaft und Stillzeit vorliegen, kommt dem Deutschen MS- und Kinderwunschregister von Frau Prof. Kerstin Hellwig eine besondere Bedeutung zu, da aktiv und systematisch die Auswirkungen verschiedener Immuntherapien auf den Krankheitsverlauf der Mutter und das sich entwickelnde Kind erhoben werden. In Abhängigkeit von bekannten Gefahren wird daher die Therapie bei geplanter bzw. gesicherter Schwangerschaft abgebrochen oder zu einer risikoarmen Immuntherapie gewechselt.
Im MS-Register der DMSG werden zu den verschiedenen MS-Medikamenten strukturiert Daten erhoben und ausgewertet. Zu diesen Daten gehören auch die Abbruchgründe der immunmodulierenden Therapien
Für Frauen im gebärfähigen Alter sind Schwangerschaft und Kinderwunsch wichtige Gründe für einen Therapiewechsel. Bei über 20% der Frauen mit MS zwischen Ende 20 und Anfang 30 wurden diese beiden Abbruchgründe angegeben. Am stärksten ausgeprägt ist dieser Grund mit 29% bei den 30- bis 31-Jährigen, bei denen Schwangerschaft 21% der Therapieabbruchgründe ausmacht und Kinderwunsch 8%. In den Altersgruppen bis zum 23. und ab dem 38. Lebensjahr treten Therapiewechsel aufgrund von Schwangerschaft bzw. Kinderwunsch seltener auf.
Betrachtet man, wie die Behandlung bei an MS erkrankten Frauen mit dem Abbruchgrund Kinderwunsch bzw. Schwangerschaft fortgesetzt wird, so zeigt sich, dass 45% der Frauen innerhalb von 12 Monaten nach Abbruch der Medikation wieder eine Immuntherapie aufnahmen. Innerhalb von 18 Monaten nach Abbruch hatten 67% mindestens eine Immuntherapie erneut gestartet.
Interferon beta (-1a, -1b, Peg-), Fumarate (Dimethyl-, Diroximelfumarat) und S1P-Rezeptormodulatoren (Fingolimod, Ozanimod) waren mit 23%, 18% und 17% die häufigsten Therapien, die von Frauen mit MS aufgrund von Schwangerschaft oder Kinderwunsch beendet wurden. Bei der erneuten Therapie innerhalb von 18 Monaten wurde am häufigsten wieder auf die vorher gegebene Therapie gewechselt (35%).
Insgesamt zeigt die Auswertung der Registerdaten zu Schwangerschaft und Kinderwunsch, dass bis zum 37sten Lebensjahr viele Therapieänderungen aufgrund eines Kinderwunsches bzw. einer Schwangerschaft stattfinden. Dies geht mit der gesellschaftlichen Entwicklung zur generell späten (ersten) Schwangerschaft jenseits des 30sten Lebensjahres einher. Auch können Krankheitsaktivität und Unsicherheit bezüglich des weiteren Krankheitsverlaufs zu einem Aufschub beim Kinderwunsch führen. Männer mit MS sind davon genauso betroffen.
Als Limitation der Auswertung ist zu beachten, dass die Planung der Schwangerschaft (Kinderwunsch) und die tatsächliche eingetretene Schwangerschaft durch retrospektive Dokumentation nicht immer klar unterschieden werden kann. So ist unklar, ob eine Schwangerschaft geplant war und falls ja, wieviel Zeit zwischen Kinderwunsch und der möglichen Schwangerschaft vergangen ist. Zudem sind im MS-Register Daten zum Verlauf der Schwangerschaft verfügbar, allerdings nicht bei allen betroffenen Patientinnen. In dieser Analyse wurde daher der Ausgang des Kinderwunsches bzw. der Schwangerschaft nicht berücksichtigt. Patientenzahlen für Fragestellungen zu Subgruppen bestimmter Therapieentscheidungen hinsichtlich Schwangerschaft sind trotz der großen Registerkohorte häufig klein, so dass es hier weiterer Daten bedarf, bevor Auswertungen zur Medikamentensicherheit und Krankheitsaktivität durchgeführt werden können.
Redaktion: DMSG-Bundesverband – 19.04.2023
Quelle: MS-Register – 17.04.2023