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MS-Forschung

Immunologische Mechanismen des stark erhöhten Multiple Sklerose-Risikos nach einer Epstein-Barr-Virus-Infektion

Autor: Professor Dr. med. Ralf Gold: Vorsitzender im Ärztlichen Beirat des DMSG-Bundesverbandes, Direktor der Neurologischen Klinik, St. Josef Hospital, Kliniken der Ruhruniversität Bochum. DMSG-Bundesverband, Johannes Kirchherr.
Autor: Professor Dr. med. Ralf Linker: Stellvertretender Vorsitzender im Ärztlichen Beirat des DMSG-Bundesverbandes, Neurologische Universitätsklinik Regensburg. Bildquelle: DMSG-Bundesverband, Johannes Kirchherr.

Stellungnahme aus dem Ärztlichen Beirat der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e.V.

Mit dem aufsehenerregenden Beitrag über ihre Studie an 10 Millionen regelmäßig untersuchten US-amerikanischen Armeeangehörigen in der Zeitschrift „Science“, der DMSG-Bundesverband berichtete, hat die Arbeitsgruppe um Professor Alberto Ascherio von der Harvard Universität Cambridge gezeigt, dass eine neu aufgetretene Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) im jungen Erwachsenenalter zu einem über 30-fachen Anstieg des MS-Erkrankungsrisikos führt. Dies ist das mehr als zehnfache des bisher stärksten bekannten Risikogens: der Assoziation zu den körpereigenen Immunmolekülen (HLA-DR15:01).

Nun stellt sich die Frage, auf welchen Immunmechanismen diese Risikoerhöhung beruht

Fast zeitgleich erschien in der Zeitschrift „Nature“ der Artikel aus der Stanford University School of Medicine, Kalifornien, von den Arbeitsgruppen um Professor Lawrence Steinman und Dr. Bill Robinson, der sich mit den Immunmechanismen beschäftigt. Die grundlegende Erkenntnis dieser Forschergruppe ist, dass ein für die Virusfunktion unerlässlicher Transkriptionsfaktor EBNA1, der ein im Zellkern gelegenes nukleäres Antigen-1 von EBV exprimiert, eine sehr hohe molekulare Ähnlichkeit (Mimikry) der Eiweißstruktur mit dem im Gehirn vorkommenden Zellhaftungsprotein GlialCAM aufweist. Dies konnte von Strukturmechanismen auf die relevante Funktion am Lebenden, ergänzt durch moderne molekulare Techniken bis hin zum experimentellen Transfer gezeigt werden: Ein entsprechender Antikörper aus dem Nervenwasser wurde aus B-Lymphozyten, sowohl im Blut als auch im Nervenwasser von MS-Patienten, nachgewiesen, und dann auf einer Protein-Expressionsbibliothek entsprechend verifiziert. Schließlich konnte der Antikörper auch immunhistochemisch an Hirngewebsschnitten gebunden werden, wo sich zeigte, dass Eiweißveränderungen die Bindung an das GlialCAM-Protein noch weiter erhöht. Wenn man nun in das experimentelle Modell für die Multiple Sklerose, die experimentelle Encephalomyelitis EAE geht, konnte durch Immunisierung mit EBNA1 der Krankheitsverlauf deutlich verschlechtert werden. Dies ist eine klare Beweiskette, die zusätzlich die bereits veröffentlichten Daten aus der Ascherio-Arbeitsgruppe mechanistisch unterlegt.

Was hat dies für Auswirkungen auf die heutige und zukünftige Therapie der Multiplen Sklerose?

Man kann hier diskutieren, dass die überzeugende Wirkung der B-Zell gerichteten Therapie in der modernen MS-Behandlung auch darauf beruhen könnte, dass mit den B-Zellen als Hort für diese Epstein-Barr-Virus-Eiweißexpression eine wesentliche Ursache ausgeschaltet wird, die die Entzündung bei MS unterhält.

Viel tiefgreifender sind jedoch immunologische Erwägungen, dass in besonders gefährdeten Familien schon sehr früh Kinder und Jugendliche gegen das Epstein-Barr-Virus geimpft werden, um so die natürliche Infektion und das Zustandekommen der lawinenartigen Entzündungskaskade zu verhindern. Entsprechend einer Pressemeldung in der „FAZ“ ist eine Pharmafirma  hier in der Entwicklung eines Impfstoffs gegen EBV bereits fortgeschritten. Es wäre allerdings zu früh zu glauben, dass eine derart heterogene Krankheit wie die Multiple Sklerose gelöst und in Zukunft geheilt werden kann: Zukünftig werden sicherlich noch weitere Auslöser identifiziert werden.

Literatur:


Quelle: DMSG-Bundesverband - 24.01.2022

Redaktion: DMSG-Bundesverband - 24.01.2022

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